Für die Ewigkeit

Für die Ewigkeit

Jüdischer Friedhof

REALISIERT: OKTOBER – DEZEMBER 2020
PRODUKTION: DOKUMENTATION
PHOTOGRAPHEN: BIRGIT UND ROGER SCHÄFER
THEMA: JÜDISCHER FRIEDHOF IN HEMSBACH

Der jüdische Friedhof in Hemsbach

Vom Wald hinunter führt der Wanderweg nach Hemsbach. Schon scheint es, als sei man wieder endgültig in der nüchternen Welt der Einfamilienhäuser angekommen, die Natur hat der Bebauung Platz machen müssen und mit historischen Fundstücken scheint es hier auch vorbei. Bevor man aber den alten Ortskern weiter unten erreicht, läuft man geradewegs auf eine alte Mauer zu. Sie umschließt ein dunkles Gelände, das mit hohen Bäumen bestanden ist und sich einen Hang hinaufzieht. Näherkommend sieht man eine Vielzahl grauer, halb in den Waldboden versunkener Steinplatten. Beim zweiten Blick dann wird die Form von Grabsteinen erkennbar und eine hebräische Schrift auf den Panelen. Und tatsächlich, es öffnet sich vor einem ein riesiges Areal mit hunderten im Wald verstreuten Grabsteinen, schmucklose und zum Teil bereits verwitterte Sandsteinplatten, alle einander sehr ähnlich, keine ragt durch Größe oder Gestaltung besonders heraus. Unversehens stoßen wir auf eine bedeutende Stätte der jüdischen Geschichte an der Bergstraße. Schon Mitte des siebzehnten Jahrhunderts, vermutlich nach 1640, wurde dieser Friedhof angelegt, der heute zu den größten in Baden-Württemberg zählt. Das Gelände, das ihm einmal zugewiesen wurde, liegt weit oberhalb des Ortes, in früheren Zeiten mühsam zu erreichen. Es war ein nutzloses Stück steiler Hang, das man der jüdischen Gemeinde einst hergab, weil es für sonst nichts zu gebrauchen war. Die frühesten Gräber liegen im unteren Teil, ganz nah an dem kleinen Bach, der das Terrain durchfließt und der wichtig war, um die Reinigungsrituale bei jüdischen Beerdigungen befolgen zu können. Als aller Platz in der kleinen Bachsenke belegt war, wurden die nächsten Toten ein Stück höher den Berg hinauf beigesetzt. Und so lässt sich die rund dreihundertjährige Geschichte dieses Friedhofs verfolgen, indem man den Berg hinauf steigt bis zu den jüngsten Gräbern aus den Jahren 1939 bis 1941. Der zuletzt dort beerdigte Weinheimer war Isaak Heil. Er war Textilhändler in der Hauptstraße. Sein Anwesen ist bis heute ein imposantes Eckhaus mit einer Sandsteinfassade.  Er starb im Oktober 1938. Seine Frau Recha lebte in dem Haus der Familie, bis sie im Oktober 1940 mit etwa vierzig anderen Weinheimer Juden nach Gurs in Südfrankreich deportiert wurde, wo sie zwei Monate später im Lager starb. Das Haus der Heils wurde verkauft. Die Nachkommen der neuen Besitzer bewohnen es heute noch. Sie führen darin eine Anwaltspraxis mit dem Spezialgebiet Erbschaftsrecht.

Zum Wesen jüdischer Friedhöfe gehören ihre Schlichtheit und ihre Unantastbarkeit. Weil im Tode alle Menschen gleich sind, bekommen auch alle die gleichen einfachen Grabsteine. Allein die Grabschrift kann auf individuelle Eigenschaften oder Verdienste verweisen. Angehörige einer Priesterfamilie (Kohen) haben das Symbol der segnenden Hände auf dem Stein, auf Angehörige der Leviten (Tempeldiener) weist symbolisch eine Kanne hin. Es gibt weder Blumenschmuck noch anderen Zierrat, allein der Efeu wuchert flächig den Hang entlang und versiegelt auf seine Weise den Boden. Und weil die Toten in ihren Gräbern auf ewig ruhen sollen, bleiben die Friedhöfe weitgehend unberührt. Niemand wird je umgebettet, nichts wird renoviert oder begradigt. Für den Hemsbacher Friedhof heißt das, dass auf dem morastigen Gelände die Grabpanele im Laufe der Zeit langsam im Erdboden versinken, während zugleich ein hoher Wald aus dem Boden herauswächst. Im extremen Zeitraffer ließe sich diese gleichzeitige Gegenbewegung beobachten: die unter den nach oben sprießenden Bäumen einsinkenden Grabsteine.  Das ist das Eigenartige an diesem Ort, dass sich die Natur und die Kultur hier so nahe sind, in einander übergehen und eines Tages nicht mehr voneinander zu unterschieden sein werden.

[Zitiert aus: Alexander Boguslawski „Weit, hoch, herrlich der Blick.
Kleine Ausflüge in die Geschichte der Bergstraße“,
Ubstadt-Weiher, 3. Auflage 2018, S.37-39,
ISBN 978-3-89735-590-3]

Vor den Baumfällarbeiten

Während der Baumfällarbeiten

Für die Ewigkeit

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“Da sind nur du und deine Kamera. Die Grenzen deiner Photographie liegen in dir selbst, denn was wir sehen, ist was wir sind.”

 

Ernst Hass

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